Es ist die Gretchenfrage der Architekturfotografie: Kommen Menschen auf den Bildern vor, oder nicht? Nach den Abbildungen zu urteilen, die in Architekturzeitschriften veröffentlicht werden, haben Architekten oder Photografen oder gar beide Berufsgruppen ein Problem mit ihren Mitmenschen. Historisch gesehen, liegt der Grund für die Menschenleere allerdings bei den langen Belichtungszeiten der ersten Kameras. Das Getümmel rings um die Bauten fiel einfach der trägen Technik zum Opfer. Aber im Unterschied zu anderen Genres der Photografie kam kaum jemand auf den Geschmack, Unvorhergesehenes ins Bild zu bringen, als die Filme schnell genug waren. Monumente, rein wie eine Architektenzeichnung, unbefleckt wie die klassische Museumsskulptur, so werden noch heute die meisten Bauten ins Bild gesetzt.

Die Gretchenfrage ist daher immer wieder zu stellen. Dabei ist sie gar nicht so spannend: Denn nicht ob, sondern auch wie die Benutzer/Bewohner/Passanten vorkommen, könnte der Architekturfotografie ganz neue Möglichkeiten geben. Belebte Bilder lassen im Extremfall die Architektur zum Hintergrund werden und charakterisieren sie doch viel besser, als eine menschenleere Aufnahme. Jedes Gebäude hat die Kraft, Geschichten zu erzählen. Ob es interessante Geschichten sind, könnte – nein: müsste – mit Photos überprüft werden.

Text: © Oliver Elser

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